Orte: Emmersdorf in Niederösterreich; Mayrhofen in Tirol; Wien; Alfina in Griechenland; London in Großbritannien; Rom (Roma) in Italien; Leiden in den Niederlanden; Lemberg (Lwiw, Lwow) in der heutigen Ukraine; Budapest in Ungarn; New York in den USA u.a. Quellentypen: Korrespondenz (Familienkorrespondenzen, Paarkorrespondenzen, Freundschaftskorrespondenzen, Freundinnenkorrespondenzen, Kinderkorrespondenzen, Korrespondenzen aus der Emigration, Leser:innenbrief): 88 Schreiben; 1 amtliches Dokument; 10 Fotografien (2 gerahmt); Weiteres: 2 Bonbon-Schachteln Zum Bestand: Schreiberin/Empfängerin: Erika L. (geb. B.); 1938-2003, geb. und gest. in Wien
Schreiberin/Empfängerin: Stefanie B. (geb. R.); 1906-1993, geb. und gest. in Wien
Übergeberin: Mag.a Evelyn B. (Großcousine von Erika L.), 2023
Erika L. (geb. B.) ist in Wien aufgewachsen. Ihre Eltern waren Stefanie Antonia B. (geb. R., 1906-1993) und Friedrich Simon B. (geb. 1902).
Stefanie B. hatte als Jugendliche im Jahr 1920 sieben Monate zur Erholung bei einer Gastfamilie in den Niederlanden verbracht. In einem Leser:inennbrief mit dem Titel „Dank an die Holländer“ an die Redaktion einer Zeitschrift hat sie diesen Aufenthalt beschrieben. Beigeheftet ist dem handschriftlichen Brief ein Zeitungsausschnitt mit dem Abdruck von einem Auszug von diesem Text auf Niederländisch.
Friedrich B. war Bankbeamter aus Wien, seine Vorfahr:innen kamen aus Ungarn. Von der Korrespondenz von Stefanie und Friedrich B. sind 4 Schriftstücke erhalten. Es sind 3 Briefe sowie 1 loses Kuvert, die jeweils von ihm an sie adressiert worden waren. Das früheste Schriftstück ist ein überschwänglicher Brief, der im August 1927 postlagernd von Budapest nach Wien gesendet und mit der Anrede „Mein einziges süsses Lieb!“ begonnen wurde. Das späteste ist ein Kuvert, das Friedrich B. im Mai 1940 aus Lemberg (Lwiw, Lwow) in der heutigen Ukraine abgeschickt hat. Darin aufbewahrt ist das Fragment eines (undatierten) Briefes mit knappen Schilderungen seiner Aktivitäten in den letzten 8 Tagen (vermutlich) in Budapest: „Donnerstag um 10 h aufgestanden, mit der l Irma getratscht, um 2 h Mittaggegessen nachher mit d l Ernö zur Polizei gegangen u. gemeldet.“ Friedrich B. war im Holocaust von den Nationalsozialisten als jüdisch verfolgt und in ein Konzentrationslager deportiert worden. Es gelang ihm die Flucht, auf der er sich offenbar bei seiner Schwester Irma L. (geb. B., geb. 1895) und deren Ehemann Ernö L. in Budapest aufgehalten hat. Er ging dann in die Sowjetunion, wo er verschollen ist.
Neben den 4 einzelnen Korrespondenzstücken liegt von noch der Reisepass für „Friedrich Israel Blau“ aus Mai 1939 vor, auf dessen erster Seite der Buchstaben „J“ in roter Farbe eingestempelt ist. Aus der Zeit um 1945 ist der Entwurf von einem (undatierten) Brief der kleinen Erika L. an den abwesenden Vater erhalten: „Lieber Vati! Wie geht es dir? Wir warten schon dass Du kommst. Warum kommst Du nicht? Die Sofi Tante ist schon da. Wir haben die Russen einquartiert. (…) Mit den Bomben ist uns nichts geschehen.“ Friedrich Blaus Verbleib konnte niemals aufgeklärt werden.
Aus der Korrespondenz von Stefanie B. mit ihrer Schwägerin Irma L. in Budapest sind 12 Schreiben von September 1936 bis März 1944 vorhanden, von jener mit „Tante“ Margarete M. (auch M. oder M.) 5 von April 1939 bis April 1949. Die ungewisse Situation und die Hoffnung auf eine Rückkehr von Friedrich B. ist eines der bestimmenden Themen in diesen Briefen.
Margarete M. war 1939 zunächst nach London und später nach New York emigriert. In Briefen an Stefanie B. berichtete sie u.a. von den schwierigen Verhältnissen nach der Flucht, den Mühen, Arbeitsbewilligungen zu bekommen und dem Aufbau eines neuen Lebens im Exil: „Ich schaue auch nicht gut aus, bin umgekehrt für hier modern schlank, habe ca. 56 kg. Für diese modernen Puppen hier, ist man nicht schlank genug, es ist fast keine lady hier, die nicht diät lebt um abzunehmen. Also das erspare ich mir - - - - - -“ (4. November 1951).
Den größten Teil im Nachlass von Stefanie B. und Erika L. machen 38 Briefe aus, die die Tochter als Kind und Jugendliche an die Mutter u.a. aus einem Ferienlager in Mayrhofen im Zillertal in Tirol adressiert hat, das die 9-Jährige 1947 besuchte. Darin schilderte das Mädchen fast täglich von den Aktivitäten, der Verpflegung und ihren Freundinnen: „Ich sitze hier im Garten und der Helga wird gerade von der Anna ein Diktat angesagt. Ich habe dankend Dein zweites Packerl bekommen und ich freute mich sehr das die Oma von der F. I. hier war“ (1. August 1947). Von der Mutter ist ein Antwortschreiben erhalten. Im darauffolgenden Jahr verbrachte Erika L. die Ferien in Emmersdorf an der Donau bei Melk in Niederösterreich, von wo aus sie ebenfalls fast täglichen brieflich berichtete.
Als Erwachsene war Erika L. als Geschäftsfrau tätig. Aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen konnte sie diesen Beruf ab den späten 1960er-Jahren nur noch bedingt ausführen. Von ihren Sommerurlauben u.a. in Rom in Italien 1960 und Alfina in Griechenland 1975 sind wiederum Postkarten und Briefe an die Mutter Stefanie B. in Wien erhalten, in denen sie und ihr damaliger Partner durchwegs ausführlich von ihren Urlaubserlebnissen geschrieben und nach dem Befinden zuhause gefragt haben.
Stefanie B. hat ihrerseits offenbar auch über Jahrzehnte Kontakt mit Bekannten in den Niederlanden gehalten. Ein Kuvert von einem 1972 in Leiden (von einer nicht leserlichen Absender:in) abgesendeten Poststück ist beschriftet mit „letzter Brief“.
Aus Erika L.slangem Briefverkehr mit Margaret M. in den USA sind wiederum 2 Briefe (mit eingeschlossener Fotografie ihres Ururenkels) aus Toms River sowie 5 leere Umschläge aus der Zeit von 1994 bis 1999 erhalten.
Die weiteren vorliegenden 24 Korrespondenzstücke sind Briefe und Postkarten, die Erika L. im langen Zeitraum zwischen März 1938 und Oktober 2000 von verschiedenen Personen geschrieben wurden, darunter u.a. von „Tante Gusti“ und ihrer Jugendfreundin „Sissy“. Teilweise sind davon auch wiederum nur die Kuverts aufbewahrt worden.
Die 10 Fotografien im Bestand sind Familienfotografien, konkret u.a. 1 gerahmtes Atelierbild von Stefanie B. aus 1927, 1 Aufnahme von Friedrich B. bei einer Donauschifffahrt aus 1933, je ein Atelieraufnahmen von „Tante Risa“ und. „Tante Sofie“ aus 1939 sowie 1 gerahmtes Atelierbild der kleinen Erika L. aus ca. 1940.
Die Briefe, Dokumente und Fotografien wurden in 2 Bonbon-Schachteln aus Karton der Konditoreien „A. & Kühne“ sowie „Schladerer“ aufbewahrt und darin auch an die Sammlung Frauennachlässe übergeben. |