in:
EMMA
1998
,
Heft:
5
,
76-83 S.
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Weitere Informationen
Einrichtung: | FrauenMediaTurm | Köln |
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Signatur: | Z-Ü107:1998-5-a |
Formatangabe: | Porträt |
Link: | Volltext |
Verfasst von: | Schwarzer, Alice info |
In: | EMMA |
Jahr: | 1998 |
Heft: | 5 |
ISSN: | 0721-9741 |
List of content: | |
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Sprache: | Nicht einzuordnen |
Beschreibung: | |
Pina Bausch Porträt Es ist ein regnerischer Wintertag. Wir parken das Auto gleich um die Ecke, in der engen Einbahnstraße zwischen Wupper und Häuserzeile. Hier, im Zentrum von Barmen, dem einst pompösen 50er-Jahre-Kino, der Lichtburg, ist seit Jahren der Proberaum des Wuppertaler Tanztheaters. Nur ein paar hundert Meter entfernt steht das Opernhaus. Hier hat Pina Bausch, die Schöpferin des Tanztheaters, schon als Kind getanzt. In 40 Jahren von Wuppertal nach Wuppertal. Ein Weg, auf dem sie das Theater der Welt revolutionierte und der internationalen Kultur-lntelligentia die Sprache verschlug, beinahe. Doch das ist draußen. Drinnen wiegt das nicht. Drinnen wird, wieder einmal, ganz von vorn angefangen: das neue Stück wird erarbeitet. Premiere soll am 21. März sein. Noch acht Wochen Zeit. Der Eingang liegt versteckt, überstrahlt von der Neonschrift von McDonald's, die gleich nebenan ihr Fast Food verkaufen. Wir stolpern die fast dunklen Treppen rauf, tasten uns durch einen Gang und landen im Proberaum. Der große Kinosaal ist leer geräumt. Unten, vor der Bühne, sitzt an einem mit Papieren und Kaffeetassen überladenen Längstisch Pina Bausch, das Gesicht zum Saal gewandt. Hinter ihr, auf der erhöhten Bühne, einige Mitarbeiter und Tänzer. Die meisten Tänzerinnen und Tänzer aber sitzen vor ihr, wie im "Kontakthof", auf Stühlen, die in der vorderen Hälfte des Saales an der Wand entlang stehen. Wir setzen uns, mit einem kurzen Kopfnicken, rasch auf zwei freie Stühle. Die Arbeit hat bereits begonnen. Auf ein Handzeichen von Pina Bausch versammeln sich alle Tänzerinnen und Tänzer vor ihrem Tisch. Sie sagt das erste Stichwort: Etwas beginnen und doch nicht tun. Die Tänzerinnen und Tänzer gehen zu ihren Plätzen zurück. Alle haben ihre Stammplätze, wie ich später merke. Sie wirken müde und angespannt. Sie sinnieren still vor sich hin. Einige scheinen zu dösen. Andere machen sich Notizen. Wieder andere treten, im hinteren Teil des Raumes, vor einen der Spiegel, um sich, diskret, bei den ersten Versuchen selbst zu beobachten. Oder sie gehen in einen der Nebenräume auf die Suche nach Utensilien: ein Hut, ein Stuhl, eine Tonne. Der Tscheche Jan Minarik, der schon vor der Zeit mit Pina Bausch am Wuppertaler Ballett gearbeitet hat, tritt als erster vor. Er legt einen Plastikfisch auf den Boden, streckt sich daneben aus und beginnt, auf dem Bauch liegend. Schwimmbewegungen zu machen. Die Amerikanerin Melanie Lien tritt vor. Sie öffnet weit den Mund, beginnt zu schreien und hält nach dem ersten Ton abrupt inne. Der Franzose Jean Sasportes tritt vor. Er versucht, mit drei Kartoffeln zu jonglieren, eine lallt immer wieder hin. Pina Bausch sitzt am Tisch und schaut zu. Ernst und genau. Sie wirkt gespannt und aufmerksam, aber auch unerbittlich. "Was ich tue? Ich gucke. Mich interessiert die Wirklichkeit. Und nicht bereits verarbeitete Wirklichkeit." Nach jedem einzelnen Zeigen der Tänzer macht sie sich Notizen in einem aufgeschlagen vor ihr liegenden Buch. Manchmal notiert sie noch, während schon ein neuer Tänzer, eine neue Tänzerin vor sie hintritt. Sie schaut verspätet hoch. Die Tänzer warten reglos. Allein. Oder auch zu zweit oder dritt. Das ganze geht ohne Kommentare. Manchmal lächelt sie. Pina Bausch gibt an diesem Abend noch drei Stichworte: Schwerelos. Regen. Von etwas Kleinem runterspringen oder rauf. Sie ist bei dieser Arbeit Autorin, Choreographin und Regisseurin zugleich. Ihr Stoff sind die Tänzerinnen und Tänzer, sie sind außerdem Co-Autorinnen und Schauspieler. Die Arbeit ist Knochenarbeit. Für die Tänzerinnen: jeden Vormittag anderthalb Stunden lang Training, anschließend etwa zwei Stunden Probe; abends etwa vier Stunden lang wieder Probe. Und das vor den Premieren auch an den wenigen freien Tagen. Die meisten sind seit Jahren dabei. Ihre Mimik und Bewegungen sind den Fans auf der ganzen Welt, die die Stücke des "Wuppertaler Tanztheaters" kennen, auf anrührende Weise vertraut. Von diesem Abend wird Pina Bausch für das Stück, das bei der Premiere den Titel "Ahnen" trägt, genau drei Bewegungsabläufe übrig behalten: Jean Sasportes jongliert die Kartoffeln. Beatrice Libonati macht, mit dem Rücken quer über einem Stuhl liegend, langsame, schwebende Bewegungen mit Armen und Beinen. Lutz Förster springt mit beiden Beinen auf das Rückgrat der knieend vorgebeugten Finola Cronin. Das neue Stück geht über dreieinhalb Stunden. Die drei kleinen Szenen machen vielleicht fünf Minuten aus. Vor Pina Bausch lernten Schauspielerinnen Rollen, tanzten Tänzerinnen einstudierte Parts. Die Theatermacherin Arlane Mnouchkine und andere ließen improvisieren, aber immer noch vor dem Hintergrund einer Vorlage. Bei Pina Bausch gibt es keine Vorlagen, keine Drehbücher, keine Choreographie. Ihr Ausgangsmaterial sind die Menschen selbst. Ihre Sprache sind nicht nur die kontrollierten Worte, sondern vor allem die Bewegungen der unkontrollierten Körper. Körper, die Spuren des gelebten wie ungelebten Lebens tragen. "Irgendwo ist ja alles sichtbar - auch wenn wir uns vielleicht festgehalten haben. Aber das kann man auch sehen, wo was unterdrückt ist. Da gibt es Stellen, wo Menschen nicht dran denken, wie sie sich kontrollieren." |
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